Gesundes Führen

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„Gesundes Führen“ klingt harmlos und leicht durchführbar. In Wahrheit jedoch ist es eine Kunst, die den Führungskräften Einiges abverlangt, allem voran Offenheit und eine große Portion Gespür für die Befindlichkeit der Mitarbeiter.

Führungskräfte leisten einen wichtigen Beitrag zur Gesundheit ihrer Mitarbeiter: durch Vorbildfunktion und durch einen offenen Führungsstil. – istockphoto.com

Gesundheit ist kein Unternehmensziel: „Dennoch ist der Fokus auf diesen Bereich unbedingt notwendig, denn ohne gesunde Mitarbeiter ist keine Produktivität möglich“, sagt IBG-Geschäftsführer Dr. ­Gerhard Klicka. Doch was bedeutet es eigentlich, gesund zu führen? Hier geht es um weit mehr als um das Bereitstellen von gut gefüllten, frischen Obstkörben oder das Anbieten von günstigen Massage-Angeboten gegen arbeitsbedingte Verspannungen. Gesund führen jene Führungskräfte, die ihren Mitarbeitern mit viel Aufmerksamkeit entgegentreten, ein Gefühl für deren Befinden entwickeln und auch entsprechend handeln. Wer vermutet, dass dies ein Kinderspiel sei, der irrt. Vielmehr handelt es sich um einen Balanceakt, in dem die Führungskraft – gleich einem Dirigenten – das ganze Orchester im Griff hat, ohne aber den Blick auf den einzelnen Musiker zu verlieren, meint Klicka.

Heute schon gelobt?

Um welche Eigenschaften handelt es sich nun genau? „Wertschätzung, Interesse, Durchschaubarkeit und Offenheit zählen zu den Eigenschaften, die Mitarbeiter von ihrem Chef unbedingt brauchen“, sagt Dr. Anne Matyssek, Psychologin, Psychotherapeutin und Lehrbeauftragte an der Leibnitz-Universität Hannover. Diese Qualitäten sind so elementar, dass kranke Mitarbeiter durch sie sogar gesund werden können: „Ja, Führungskräfte können gesund machen“, ist Matyssek überzeugt und verweist auf eine 2005 in Zürich durchgeführte Studie: „Pro Jahr gibt es zwei Fehltage weniger, wenn der Chef lobt, sich Zeit für seine Mitarbeiter nimmt.“ Erstaunlich auch das Ergebnis einer vom Autokonzern VW durchgeführten Untersuchung aus dem Jahr 2001: Hier wurden Führungskräfte versetzt und ausgetauscht und das Ergebnis war verblüffend: Die Vorgesetzten nahmen ihre Krankenstände mit, jene in vorher „gesunden“ Abteilungen stiegen und umgekehrt.

Innerliche Kündigung

Sehr oft kommt es auch zu Verwechslungen: Vorgesetzte glauben, dem Mitarbeiter mit Therapie-Vorschlägen und Überschütten von Tipps dienlich zu sein. Dem ist aber nicht so. Ganz im Gegenteil: „Derartige Verhaltensweisen – genauso wie das Stellen von Diagnosen – kommen beim betreffenden Mitarbeiter ganz schlecht an und sind in jeder Hinsicht kontraproduktiv“, sagt Matyssek.   
Eine weitere, für die Chef-Mitarbeiter-Beziehung nicht förderliche Eigenschaft ist der so genannte Anerkennungsgeiz: Vorgesetzte glauben mitunter, zu viel Lob könne dazu führen, dass die Mitarbeiter ihre Hände in den Schoß legen und weniger schnell arbeiten. Sehr oft sei auch das Phänomen zu beobachten, dass Chefs durchaus gesund führen können, dies aber nur bei einem Teil der Mitarbeiter tun: „Lachen Sie nicht nur mit Ihren Lieblingen“, rät Matyssek. Dies könne dramatische Auswirkungen auf das Betriebsklima haben, wie zahlreiche Beispiele aus der Praxis der Psychologin demonstrieren. Sehr anschaulich ist jener Fall, wo ein Firmenchef sich besorgt an sie wandte. „Was führte zum schlechten Betriebsklima?“ ‒ war die Frage, die Matyssek beantworten sollte. In dem Unternehmen arbeiteten vier Männer und sechs Frauen, von denen vier „leider die falsche Haarfarbe“ hatten. „Die anderen waren blond, und für den Außenstehenden war sehr schnell klar, was dort ablief: Der Chef flirtete und lachte einzig und alleine mit den zwei blonden Damen, die anderen ignorierte er. Die fühlten sich nicht wahrgenommen, und dieser Umstand führte zu der fatalen Situation, dass diese Mitarbeiterinnen die Arbeit boykottierten und sich dem Unternehmen in keiner Weise zugehörig fühlten: sie hatten innerlich bereits gekündigt“, erzählt Matyssek. Natürlich sei es nicht immer möglich, alle in gleicher Art und Weise zu mögen ‒ ein Chef sollte aber in der Lage sein, eine gewisse emotionale Qualität des Kontakts so gut wie möglich allen Mitarbeitern entgegenzubringen: Ein guter Chef ist einer, der sich kümmert. Dass Zuwendung gegenüber den Mitarbeitern möglich ist, dafür brauche es letztendlich aber auch gesunde Vorgesetzte: Ein Chef kann nur dann gut führen, wenn er selber achtsam mit seiner Gesundheit umgeht: „Bei sich selbst beginnen – das ist nicht nur der vielversprechendste und authentischste Weg zu mehr Wohlbefinden im Betrieb, es ist der einzige.“
Dr. Rudolf Karazman, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, betont in diesem Zusammenhang noch eine weitere Dimension. Er ist überzeugt, dass gesunde Führung dort passiere, wo Mitarbeiter ihre persönliche Größe leben können: „Wir Menschen sind auf Größe, auf Größerwerden angelegt.“
Ungesundes Führen vernichtet Arbeitspotenzial
Jährlich gehen der Wirtschaft fünf bis neun Prozent an effizienter Arbeitszeit durch sozial ungeeigneten Umgang mit bzw. unter Mitarbeitern verloren: „Unternehmer verlieren dadurch zwischen 23 und 44 Minuten Arbeitspotenzial pro Mitarbeiter und Tag“, sagt Dr. Dietmar Schuster von der Wirtschaftskammer Österreich. Die Chronifizierung psychischer Erkrankungen führe zu hohen volkswirtschaftlichen Schäden. Die Krankenstände nehmen ständig zu. Laut Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger sind die aufgrund von psychiatrischen Erkrankungen hervorgerufenen Erwerbsunfähigkeitspensionen seit 1995 um über hundert Prozent gestiegen.
Umso wichtiger sei es – neben Ernährung, Bewegung und der Gelegenheit zur Entspannung –, die soziale Gesundheit in den Betrieben zu fördern. Diese bilde ein Dach über die anderen drei Säulen der Gesundheit – physisch, psychisch, mental. Dass sich betriebliche Gesundheitsförderung auszahlt, dies beweisen auch zahlreiche Studien. Auf Grund ihres nachhaltigen Ansatzes bewirke sie eine Senkung der Krankenstände um bis zu 25 Prozent, und der Return on Investment durch entsprechende Maßnahmen liege zwischen 1:2,5 und 1:10,1. „Erfolgreich umgesetzte Gesundheitsprogramme machen sich durch niedrigere Fluktuationsraten, eine hohe Zufriedenheit der Mitarbeiter, ein besseres Betriebsklima und eine steigende Produktivität bemerkbar“, so Schuster.

Wertschätzung, Inter­esse, Durchschaubarkeit und Offenheit zählen zu den Eigenschaften, die Mitarbeiter von ihrem Chef unbedingt brauchen.

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